28. April 2024

Der wirtschaftspolitische Mythos des Sparens. Die fehlerhafte Argumentation der Politik.

„Wer Schulden hat, muss sparen!“ Diese Feststellung ist aber so einfach wie ökonomisch falsch,  jedoch leider weitverbreitet. Es wird von zahlreichen Politikern in Deutschland, hauptsächlich der konservativen Seite und der Mainstream-Medien, gerne an den Alltagsverstand der Bürgerinnen und Bürger appelliert. Dies ist aus meiner Sicht nur ein wirtschaftspolitischer Mythos!

Erst einmal eine Feststellung, vor der die aktuelle Politik durchgehend die Augen verschließt: Die Verteilung innerhalb der Löhne und Einkommen wird immer ungleicher. Die höheren Einkommen werden im Vergleich zu den niedrigeren Einkommen immer ungleicher. Diese ungleiche Verteilung führt zu Rekordgewinnen bei den Unternehmen und hohen Dividendenausschüttungen und einer Anhäufung von Vermögen, das in der Vergangenheit schon zum Spielkapital am Casino der Finanzmärkte wurde. Vermögende neigen leider eher zu risikoreichen Finanzanlagen. Davor verschließen die konservativen Parteien noch immer die Augen.

Der aktuell bestehende Mythos: Die Staaten in Europa sind zu hoch verschuldet, auch in Deutschland muss ein zentrales Ziel von Politik ein ausgeglichener Staatshaushalt sein. Denn Schulden sind prinzipiell etwas Negatives. Zudem werden zukünftige Generationen mit Schulden belastet, weil die aktuelle Generation über ihre Verhältnisse lebt. Wie in einem Privathaushalt, soll das Vorbild für den Staat sein: Sich nur das leisten, was man auch bezahlen kann.

Auffällig ist, wie wenige ökonomisch oder finanzpolitische Argumente in der aktuellen Diskussion angeführt werden. Anstelle dessen, wird stark moralisch argumentiert oder an das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger appelliert. Zudem wird behauptet, dass wir den Schuldenabbau unseren Kindern und Enkelkindern schuldig sind. Mit Zahlenbeispielen wie der Pro-Kopf-Verschuldung wird die Angst weiter angeheizt und zu zeigen versucht, dass die Verschuldung alle Bürgerinnen und Bürger etwas angeht. In diesen Argumentationen werden einige Fehler gemacht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass so bildhaft und moralisch argumentiert wird, weil die Verteufelung der Schulden ökonomisch eben nicht belegbar ist. Der erste Fehler besteht darin, Schulden und die damit getätigten Ausgaben immer nur als Kosten zu betrachten. Hier ist ein Umdenken gefordert, Ausgaben sind auch Investitionen in Bildung, Infrastruktur, das Gesundheitssystem, in die Sicherheit, in die Verteidigungsfähigkeit, in die Industrietransformation und damit in Wettbewerbsfähigkeit; kurz: in die Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger des Staates. Der Verschuldung und den Krediten stehen auch immer Vermögenswerte (wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser etc.) mit gesellschaftlichem Nutzen gegenüber.

Einen Staatshaushalt darf nicht mit dem eines Privathaushaltes gleichgesetzt werden. Erstens ist das Einkommen eines Staates nicht statisch gesetzt, das Parlament hat Stellschrauben, um auf der Ausgaben als auch der Einnahmenseite zu arbeiten. Außerdem sind Staaten auf Dauer konzipiert und können im Gegensatz zu sterblichen Personen bis in alle Ewigkeit, Einkommen erzielen, aus denen die Schulden bedient werden, deshalb hinkt dieser Vergleich der Politik. Folglich müssen sie die Schulden nicht abbauen, sondern lediglich das langfristige Verhältnis zwischen Einkommen und Schuldendienst stabilisieren. Bei Privathaushalten bleibt der Lohn weitestgehend gleich und es kann nur bei Verringerung der Ausgaben gespart werden. Zweitens können höhere Staatsausgaben langfristiges Sparen hervorrufen. Investitionen in die Transformation der Industrie, in Zukunftstechnologien, in erneuerbare Energie und in die Infrastruktur, Aufträge für die Unternehmen bedeuten und dadurch bedingt mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können und dementsprechend die Erwerbslosigkeit auf niedrigem Stand verbleibt. Mehr Arbeitsplätze bedeuten höhere Einkommen, die wiederum in Konsum münden und zu weiterer Produktionserhöhung. Es reduziert sich der Sozialtransfer und die Staatseinnahmen steigen durch ein höheres Steuereinkommen.

Wann sind Schulden schlecht? Dazu 2009 Finanzwissenschaftler Ciacomo Cerneo: Wenn für seine Bürger der Ertrag der hiermit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkungen, Transfererhöhungen, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt.

Müssen unsere Enkel die Zeche zahlen? Auch mit dem oft gehörten Ausspruch wird an das moralische Gewissen appelliert. Wir seien es unseren Kindern und Enkeln schuldig, ihnen einen ausgeglichenen Haushalt zu hinterlassen. Man bekommt von FDP und CDU/CSU erklärt, es handle sich um eine Frage der Generationengerechtigkeit. Doch diese Behauptung ist falsch. Jeder Verbindlichkeit steht, steht auch eine Forderung gegenüber, angesichts dessen erben unsere Kinder und Enkel nicht nur die Schulden, sondern auch die Forderungen, also die Vermögen. Es geht um Verteilungsfragen innerhalb einer Generation und nicht zwischen den Generationen. Denn einerseits müssen durch Steuerzahlungen auch die Zinsen für die Staatsschulden gezahlt werden, andererseits erhalten die Eigentümer von Staatspapieren Teile dieser Zinsen. Hier müsste also viel stärker an Verteilungsfragen zwischen Arm und Reich angesetzt werden, genauer gesagt Menschen mit Vermögen und hohen Einkommen wieder stärker an der Finanzierung des Staats beteiligt werden. Etwa über Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie höhere Spitzensteuersätze in der Einkommenssteuer, statt über Generationengerechtigkeit zu reden. Das sollte sich der Finanzminister der Ampel, Herr Lindner von der FDP, sich hinter die Ohren schreiben. Man kann sehr wohl etwas auf der Einnahmenseite des Staats tun, und wird es in Zukunft auch müssen.

Auch erbt die nachfolgende Generation nicht nur die Schulden, sondern hat auch einen Nutzen von den damit finanzierten Infrastrukturmaßnahmen, wie Straßen, Schulen, Krankenhäusern, etc. und können deshalb durchaus auch an deren Finanzierung beteiligt werden. So könnte der wissenschaftliche unsinnigen Behauptung, dass unsere nachfolgende Generation unsere Schulden erben, ohne gefragt worden zu sein, ob sie die Schuldenaufnahme für sinnvoll hielten, entgegengesetzt werden, dass die nachfolgende Generation ja genauso gut fragen könnte, warum nicht mehr Schulden für Investitionen aufgenommen wurden, um ihnen bessere Schulen und sportliche Angebote zu ermöglichen.  Politische Entscheidungen, die in die weitere Zukunft reichen, werden zwangsläufig immer ohne die Meinung derjenigen, die einmal davon betroffen sind, gefällt.

Was hinter den moralischen Appellen und der Art der Argumente, primär von CDU/CSU und FDP, für eine Weltanschauung steht, ist doch klar. Es soll den Bürgerinnen und Bürgern mit Aussagen wie der, dass wir über die Verhältnisse leben, auf Sparmaßnahmen und Kürzungen von Sozialleistungen vorbereitet werden. Der Staatshaushalt könnte zwar selbstverständlich auch über höhere Steuereinnahmen ausgeglichen werden, dies ist in der öffentlichen Diskussion aber fast nie zu hören. Auch wird kaum auf die hohen Ersparnisse der privaten Haushalte und die immer weiter steigenden Ungleichheiten zwischen Arm und Reich eingegangen. Das private Geldvermögen betrug zum ersten Quartal 2023 7.393 Milliarden Euro. Die öffentliche Verschuldung hingegen lediglich 2.417 Milliarden Euro. Die Schuldenquote lag in Deutschland zuletzt 2022 bei 71,2 %, im Vergleich in Frankreich bei 96 % in den USA bei 125,7 % und in Japan sogar bei 257 %.

Die Debatten, die ständig durch FDP und CDU/CSU um die vermeintlich sehr problematische Staatsverschuldung erscheint so in einem völlig anderen Licht. Wenn man die Fakten endlich anerkennen würde, würde man zu dem Schluss kommen, des es weniger um einen Schuldenabbau als um eine Umverteilung und Beteiligung von Menschen mit hohen Vermögen und Einkommen an der Finanzierung öffentlicher Ausgaben und des Sozialstaates gehen sollte.

In Deutschland wird die mögliche Höhe der Neuverschuldung seit 2011 durch die sogenannte „Schuldenbremse“ geregelt. Sie basiert auf dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP), der 1999 in Kraft trat. Ergänzt wurde er durch den europäischen Fiskalpakt, der 2012 beschlossen wurde. Dieser verlangte die nationale Umsetzung in die Schuldenbremse und ist inzwischen im Grundgesetz verankert. Sie sieht vor, dass der Bund einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorweisen soll – oftmals als „schwarze Null“ bezeichnet. Die Länder dürfen seit 2020 überhaupt keine Kredite mehr aufnehmen.

 Aufgrund der pandemischen Ausnahmesituation durch Corona sowie dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurde die Schuldenbremse jedoch in den Jahren 2020, 2021 und 2022 ausgesetzt. Nicht zuletzt sollte deshalb ist ein Reformbedarf bzw. die Abschaffung sowohl der Schuldenbremse als auch des Fiskalpakts nicht länger strittig sein. Mit der niedrigsten Schuldenquote unter den G7 Ländern, kann man sich nichts kaufen, schon gar nicht sein Land wettbewerbsfähig noch die Infrastruktur instand halten.

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