29. März 2024

Schiffe, Panzer, gern! Oder doch lieber Kitas? – Die Mythen der deutschen Zwei-Prozent-Debatte

Neben den USA ist Deutschland das wirtschaftlich potenteste Land der Nato. Dennoch ist es nicht willens, der Bündnisvereinbarung nachzukommen und zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben. Immer finden sich neue Ausreden. Dabei steht die Glaubwürdigkeit der Nato mit auf dem Spiel.

 

Kaum ist der Wechsel an der Spitze des deutschen Verteidigungsministeriums vollzogen, da wird erneut heftig diskutiert, ob Deutschland wirklich seinen Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent vom Bruttoinlandprodukt (BIP) erhöhen müsse. Eine solche Debatte ist per se nicht schlecht – es ermüdet allerdings, wenn immer wieder auf die gleichen Mythen und Halbwahrheiten zurückgegriffen wird.

 

So wird gerne darauf verwiesen, dass zwei Prozent angesichts des gewaltigen BIP Deutschlands einen unangemessen hohen Verteidigungshaushalt ergeben würden. Dieser Einwurf erstaunt, denn eigentlich bedeuten zwei Prozent lediglich zwei Cent von einem Euro. Es dürfte schwerfallen, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die vom Parlament in gefährliche Einsätze geschickt werden, zu erklären, dass dasselbe Parlament nicht bereit ist, zwei Cent von einem Euro für ihren Schutz und ihre Ausrüstung auszugeben. Es wird auch den USA und den europäischen Nato-Verbündeten schwer zu vermitteln sein, dass das wirtschaftlich stärkste Land der EU diese zwei Cent nicht aufbringt, während ökonomisch schwächere Nato-Staaten den Richtwert erreichen.

Ausrede Trump

Ebenfalls beliebt, aber bestenfalls halbwahr ist die markige Erklärung, dass Deutschland sich nicht dem Diktat des ungeliebten amerikanischen Präsidenten Trump beugen dürfe. Nun kann man über die Qualitäten des derzeitigen Chefs im Weissen Haus in der Tat geteilter Meinung sein, an den zwei Prozent ist er ausnahmsweise nicht schuld. Diese Forderung hat eine viel längere Geschichte und geht auf die Nato-Erweiterungs-Debatte Ende der neunziger Jahre zurück. Speziell mit Blick auf die Beitrittswünsche der baltischen Staaten wurde gefordert, dass deren künftige Verteidigungsausgaben mindestens zwei Prozent des BIP umfassen sollten.

 

Verantwortliche Politik muss beides tun – die soziale Sicherheit ebenso wie die äussere und innere Sicherheit der Bürger garantieren.


Verantwortliche Politik muss beides tun – die soziale Sicherheit ebenso wie die äussere und innere Sicherheit der Bürger garantieren.

Im Vorfeld des Prager Nato-Gipfels von 2002 versuchten die USA, diese Regel für alle Mitglieder verbindlich im Gipfelcommuniqué festzuschreiben, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. 2006, also vor dreizehn Jahren, tauchte das Selbstversprechen erstmals in einem Nato-Dokument auf, nämlich in der «Ministerial Guidance» des Defence Planning Committee. Eine entsprechende Verpflichtung gaben die Staats- und Regierungschefs auf dem 2006er Gipfeltreffen in Riga ab, erwähnten die zwei Prozent aber nicht explizit in der Abschlusserklärung. Seither wurden die Europäer von den USA immer wieder an ihr Versprechen erinnert, und die berühmte «Wutrede» von Verteidigungsminister Robert Gates im Juni 2011 hört sich kaum anders an als Donald Trump heute.

 

Damit erübrigt sich auch der Hinweis, dass es bei der Zwei-Prozent-Aussage vom Wales-Gipfel im September 2014 nur um eine vage Absichtserklärung gegangen sei und nicht um ein wirkliches Versprechen. Unabhängig von dem im der Tat wolkigen Wortlaut der Gipfelerklärung wurden die entsprechenden Zusagen weit früher gegeben.

Ebenfalls erstaunlich ist der Verweis einiger Parlamentarier, dass der Bundestag dem Zwei-Prozent-Versprechen in der Nato nicht zugestimmt habe und es deshalb ignorieren könne. Sie verkennen, dass Beschlüsse der Nato auf Regierungsebene entschieden werden und nur in Ausnahmefällen – etwa bei der Aufnahme neuer Mitglieder – die Zustimmung des Parlaments erfordern. So hat der Bundestag etwa auch dem 1978 von den Nato-Regierungschefs unterzeichneten «Long Term Defense Program», in dem sogar drei Prozent vom BIP als Richtzahl festgeschrieben waren, nicht zustimmen müssen.

Kompliziertes Beschaffungswesen

Pikanterweise hat der Bundestag sich aber doch mit der Zwei-Prozent-Frage befasst. Im November 2018 brachte die Fraktion der Linken einen Antrag ein, der die Bundesregierung aufforderte, die in Wales gegebene Zustimmung zu den zwei Prozent im Nato-Rat öffentlich zu widerrufen. Dieser Antrag wurde am 8. November 2018 mit 520 zu 128 Stimmen abgelehnt. Die überwältigende Mehrheit des Bundestages hat sich demnach für den Erhalt des Zwei-Prozent-Versprechens ausgesprochen.

 

Ebenso gebetsmühlenartig kommt der Hinweis, dass die Bundeswehr mehr Geld – wenn sie es denn bekäme – gar nicht sinnvoll ausgeben könne. Zweifellos liegt beim Beschaffungswesen vieles im Argen, und die angestrebten Reformen haben bisher nur zu sehr begrenzten Erfolgen geführt. Verschwendung und Misswirtschaft durch unklare Entscheidungswege und fehlende Kontrollen sind ein dauerhaftes Problem in der Bundeswehr. Allerdings löst man dieses nur, wenn man sich der Probleme im Beschaffungswesen annimmt, und nicht, indem man das Budget weiter kürzt. Man darf auch nicht ausser acht lassen, dass die Einführung komplizierter Beschaffungsprozesse der Bundeswehr vor einigen Jahren ein Ergebnis einer aus massiv sinkenden Verteidigungsausgaben resultierenden Sparpolitik war. Zum Vergleich: 1989 machte der Verteidigungshaushalt am Gesamthaushalt noch rund zwanzig Prozent aus, während es heute rund zehn Prozent sind.

 

Reicht das noch nicht, so wird gleich das ganze Zwei-Prozent-Konstrukt infrage gestellt, schliesslich würden manche Verbündete das Ziel nur deshalb erreichen, weil ihre Wirtschaftsleistung so schwach sei. Es gehe, so das Argument, nicht um nackte Prozentwerte, sondern um konkrete militärische Beiträge. Das ist sicher zutreffend, aber leider überzeugt Deutschland auch in diesem Bereich nicht. Das liegt zu einem nicht geringen Teil daran, dass Deutschland auch eine zweite Selbstverpflichtung der Nato, nämlich 20 Prozent des Verteidigungshaushalts für Ausrüstung auszugeben, nicht in Ansätzen erfüllt. Während Frankreich (24,37 Prozent) und Grossbritannien (22,03 Prozent) der Vorgabe nachkamen, gab Deutschland 2017 gerade einmal 13,75 Prozent für Ausrüstung aus. Für 2018 und 2019 stieg der Wert zwar deutlich, wird aber 2020 wieder ebenso deutlich sinken. Nach derzeitiger Planung wird man 2022 unter 10 Prozent landen.

Sicherheit – nach innen und aussen

Wenn gar nichts mehr hilft, verfängt in Deutschland immer noch der Hinweis auf die sozialen Nöte, für die man die Verteidigungsmilliarden gesellschaftlich nützlicher ausgeben könne. Die polemische Frage, wie viele Kindertagesstätten man von den Kosten eines Grosswaffensystems kaufen könnte, gibt es seit den heftigen Debatten mit der Friedensbewegung in den achtziger Jahren. Eine solche Argumentation hat immer schon unterschlagen, dass verantwortliche Politik beides tun muss – die soziale Sicherheit ebenso garantieren wie die äussere und innere Sicherheit der Bürger. Im heutigen Kontext der Debatte über transatlantische Lastenteilung ist sie noch weniger angebracht.

 

Natürlich kann der politisch Handelnde in Deutschland sich die Frage stellen, wie viele Kitas zum Preis von einem Panzer gebaut werden könnten. Allerdings stellen sich der politisch Handelnde in den USA und auch der amerikanische Bürger die gleiche Frage: Wie viele zivile Infrastrukturprojekte könnten in den USA für die Gelder finanziert werden, die bis jetzt in die Bereitstellung militärischer Fähigkeiten für die europäischen Verbündeten fliessen? Angesichts der drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den USA fällt die Antwort sehr eindeutig aus: Die Forderung, Europa müsse deutlich mehr für die eigene Verteidigung tun, wird über das gesamte amerikanische politische Spektrum vehement unterstützt. Geschieht das nicht, wird zweifellos die amerikanische Zustimmung zur Nato und damit auch die deutsche Sicherheit leiden.

 

Quelle: Züricher Zeitung

Autor: Karl-Heinz Kamp – Er ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.

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